„Liebe die anderen wie dich selbst“ – bin ich ein schlechter Mensch, weil ich das nicht kann?
Dieser Satz ist einer der gutgemeinten Ratschläge, die Mütter ihren Kindern auf den Weg geben damit sie gut durchs Leben kommen. Doch Ratschläge sind oft Schläge!
In meiner Praxis mache ich immer wieder die Erfahrung, dass sich dieser Satz bei meinen Klienten tief ins Gedächtnis eingenistet hat und sich dort zu einem inneren Stressverstärker entwickelt. Solch ein Glaubenssatz breitet sich wie ein unsichtbarer Schleier über alle Lebensbereiche aus und beeinflusst die Menschen in ihrem Erleben und Verhalten. Oft erzeugt dieser Glaubenssatz lebenslang einen enormen Leidensdruck, der unter Umständen in einer Depression münden kann. Glaubenssätze sind im Grunde genommen unerledigte Aufgaben, die tiefe Spuren im Gedächtnis hinterlassen.
Mit solchen Glaubenssätzen erteilen Eltern ein Auftrag, der vom Kind nie erfüllt werden kann. Doch bringt ein solcher Auftrag gleich mehrere Problemstellungen mit sich:
Zum einen stellt sich die Frage, woran das Kind erkennen kann, ob und wann es den elterlichen Auftrag endlich erfüllt hat. Und zum anderen ist nicht gesagt, dass jedes Kind gelernt hat, sich selbst zu lieben. Dann wird jede Bemühung des Kindes, den Auftrag der Eltern zu erfüllen, im Sand verlaufen. Das Kind wird zu einer erwachsenen Person heranreifen, die eine negatives Selbstbild über sich selbst hat. Als Erwachsener wird sich das Kind selbst so sehen, wie es vermutet, dass seine Eltern es sehen. Aus dieser Sicht können die Eltern das nun erwachsene Kind nur als Versager wahrnehmen. Denn es ist ihm nicht gelungen alle Menschen zu lieben und es gelingt ihm schon gar nicht, sich selbst zu lieben.
Diese Menschen suchen den Fehler in sich selbst. Da sie eben keinen Fehler finden können, machen sie mit der Suche weiter. Sie hören nicht auf zu grübeln. Irgendwann kommen sie in meine Praxis wegen Ängsten oder Depressionen und suchen Hilfe.
Die Lösung ist so einfach, wie effektiv. Der Satz muss umgedreht werden:
Liebe dich selbst, damit du weißt, wie du andere lieben kannst!
In den therapeutischen Sitzungen geht es dann darum welche Bedürfnisse durch den vermeintlich „guten Ratschlag“ in der Kindheit unterdrückt wurden. Wenn diese Bedürfnisse Raum bekommen und wertgeschätzt werden, fangen die Menschen an, sich freier zu fühlen. Der unsichtbare schwere Schleier löst sich allmählich auf. Das ist eine Zeit in der ziemlich viel passieren kann: die Qualität der Bindung zu den Eltern oder dem Partner kann dann beispielsweise in Frage gestellt werden, aber auch Unsicherheiten können auftreten.
Ich mache immer wieder die Erfahrung, wie wohltuend es für meine Klienten ist, dass sie in dieser sensiblen Lebensphase die Sicherheit haben, sich mit ihren Fragen vertrauensvoll an mich wenden zu können. Eine professionelle und behutsame Begleitung ist in so einer empfindlichen Lebensphase oft unabdingbar. Ziel unserer Therapiesitzungen in diesen Fällen ist es, das Selbstwertgefühl meiner Klienten zu stärken. Ich unterstütze meine Klienten dabei, mögliche notwendige Veränderungen im sozialen Umfeld so zu gestalten, dass sie ein positives emotionales Empfinden erleben und ihr Wohlbefinden steigern können.
Sie wollen aber gar nichts ändern?
Kennen sie ihre verborgenen Glaubenssätze? Gefällt ihnen Ihr Selbstbild? Ist Ihr Selbstwertgefühl anhaltend stabil? Sind Sie stets ruhig und ausgeglichen?
Vielleicht beantworten Sie alle Fragen mit Nein. Und möglicherwiese sind Sie dennoch der Meinung, dass Sie gute Gründe haben nichts an Ihrem Zustand ändern zu wollen.
Sie haben möglicherweise Recht! Und ab jetzt wissen sie auch, dass sich hinter Ihrem „Nicht-Veränderungswunsch“ noch mindestens zwei weitere Glaubenssätze verbergen, die Ihren freien Entscheidungen Grenzen setzen: „Behalte die Kontrolle“ und / oder „Halte durch!“